Kaufberatung Rennrad

Der Trend zum altmodischen Rennrad ist absolut ungebrochen. Auch wenn der Markt prall gefüllt ist mit leichten, schnellen und auch günstigen Rennrädern für den Neukauf, hat die Alternative eines alten Renners weiterhin viele Vorteile und vor allem Eines: Sehr viel mehr Stil! Gerade in den 70ern und 80ern wurden auf der ganzen Welt wunderschöne Stahlrenner gebaut, die sich auch in der heutigen Zeit nicht als lahmen Drahtesel zu erkennen geben und durchaus für eine mehr als sportliche Runde geeignet sind. In diesem Beitrag soll es vor allem darum gehen, zu erkennen, ob ein klassisches Rennrad für die eigenen Bedürfnisse geeignet ist und welche Dinge im Vorfeld, beim Kauf und später in der Nutzung und der Pflege zu beachten sind. Ich selbst habe viele Erfahrungen machen müssen – ob positiv oder negativ – die ein solches Fazit an dieser Stelle nun einfach aufdrängen.

Ganz grundsätzliche Dinge, bevor es in die Einzelheiten geht: Egal wie schön ein Rad auch ist: Soll das Rad gefahren werden, muss die Größe und die Geometrie zum Fahrer passen. Hier gelten wie bei modernen Rennrädern die Maßgaben der Schrittlänge für die Berechnung der richtigen Rahmengröße sowie auch die persönliche Probefahrt.Hilfreich sind hier kleine Rechenhelfer oder Tabellen, die einem eine erste Richtung mit auf den Weg geben. Unten in der Linksammlung sind diese gesammelt.

Kann man alte und neue Räder vergleichen?

Nein. Kann man nicht. Warum sollte man das auch tun? Wie jedes andere technische Gerät – gerade im sportlichen Bereich – unterliegt das Rennrad einem solch rasanten Fortschritt, dass es einfach ungerecht und unsinnig wäre, Rennräder aus den 70ern oder 80ern mit den Rädern der heutigen Zeit zu vergleichen. Was man aber neben den Einsparungen im Gewicht, den Optimierungen in der Aerodynamik und den neuen Materialien nicht vergessen darf: Nicht jeder fährt jeden Tag auf einer perfekt geteerten Strecke und sucht vielleicht genau aus diesem Grund nach einer Alternative zu den bocksteifen Carbon- oder Kompositrennern von heute. Stahlräder bieten von Haus aus ein viel „weicheres“ Fahren, verzeihen mehr Fehler und lassen sich auch vom Laien in gewissen Grenzen warten und reparieren.

Selbst Restaurieren? Kann das jeder?

Noch eine ganz einfache Antwort: Nein! Aber die Herausforderung ist nicht riesig. Wer allerdings keine Freude an einer Restauration hat, der sollte es auch ganz einfach lassen. Es gibt viele Profis oder Amateure, die eine tolle Arbeit verrichten und sich dann von den Rädern trennen. Zudem bieten auch viele Firmen an, individuelle Räder aufzubauen, so dass im Bereich der individuellen Ansprüche keine Abstriche gemacht werden müssen.

Wer Freude an solchen Arbeiten hat und dazu noch das notwendige Geschick mitbringt, kann nahezu alle Arbeiten an einem Rad selbst durchführen. Bis auf die Lackierung und das Zentrieren von Laufräden sollten auch Laien mit entsprechenden Anleitungen und dem passenden Werkzeug in der Lage sein, ein Rad zu bearbeiten. Klassische Rennräder sind in den meisten Fällen sehr simpel aufgebaut, so dass es wenig Spezialwerkzeug braucht und auch im Bereich der Teile gibt es kaum Engpässe. Darauf komme ich später noch zurück.

Grundsätzlich lassen sich die Arbeiten an alten Rädern in folgende Schwierigkeitsgrade aufteilen:

Einfache Aufgaben

  • Austausch der Reifen und ggf. Schläuche (Draht, und Faltreifen)
  • Austausch von Schalt- und Bremszügen mit Außenhülle
  • Austausch von Bremsbelägen
  • Austausch der Pedale
  • Einstellung von Bremsen
  • Austausch von Sattel und Sattelstütze
  • Montage des Lenkers und der Bremshebel
  • Montage der Schalthebel
  • Montage von Anbauteilen wie Gepäckträger oder Schutzblechen

Mittelschwere Aufgaben

  • Austausch der Reifen und ggf. Schläuche (Schlauchreifen)
  • Einstellung der Schaltung nach Anleitung
  • Austausch der Kette
  • Austausch der Schaltung
  • Austausch der Kurbel

Schwere Aufgaben (teilweise Spezialwerkzeug erforderlich)

  • Austausch des Tretlagers
  • Austausch des Lenklagers
  • Speichen von Laufrädern
  • Zentrieren von Laufrädern
  • Lackierung des Rahmens

Eines muss man abschließend zu diesem Thema sagen: Fast jeder Fahrradladen hilft bei kleineren Reparaturen gerne aus. Wo Spezialwerkzeug benötigt wird lohnt sich die eigene Anschaffung nur in den seltensten Fällen, falls es um die Restauration oder Reparatur eines einzelnen Rades geht. Am besten einfach mal direkt um die Ecke fragen und oft ist es mit einem 5er für die Kaffeekasse getan.

Muss man aufbauen wie das Original?

Die Frage nach dem Ziel stellt sich in Diskussionen immer wieder. Wer ein altes Rad aufbaut, tut dies in den meisten Fällen nur für sich. Wer sollte da etwas dagegen haben, dass man ein altes Rad von seiner Kettenschaltung befreit und stattdessen auf einen Freilauf oder eine Automatiknabe geht? Ich habe bereits klassische Rennräder zu Singlespeed umgebaut und andersherum. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wichtig ist mir persönlich an Rädern: Es sollte zusammenpassen. Ein 80er Stahlrenner mit einem Verbundsattel und Carbon-Hohlkammerfelgen macht ebenso wenig Sinn wie ein moderner 6-Kilo-Renner mit Ledersattel und Messingklingel. Baut euer Rad und macht es genau so, wie es euch gefällt!

Teile und Zubehör für alte Räder?

Der Markt für Ersatz- und Zubehörteile gliedert sich in drei Bereiche:

  • NoS (New old Stock): Lagerbestände aus früheren Zeiten, die aber noch unbenutzt sind.
  • Gebrauchtteile: Ersatzteile aus anderen Rädern oder bereits genutzte Lagerware.
  • Neuteile: Nachfertigungen von Teilen oder Neue Bauteile, die zu alten Modellen kompatibel sind.

Alle Kategorien haben ihre Berechtigung. Der schönste Aufbau gelingt natürlich mit NoS-Teilen, da diese original sind und zugleich die funktionalen Vorteile eines neuen Bauteils mitbringen. Die Gegenseite dazu ist der zumeist sehr hohe Preis aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit. Ich persönlich baue Räder immer aus Gebrauchtteilen auf, da diese einfach am besten in die jeweilige Zeit passen und in den meisten Fällen auch keinerlei Einschränkungen in der Funktion haben. Durch den Ankauf ganzer, defekter Räder oder Konvolute von Schaltgruppen oder Ähnliches lassen sich wunderbar die Ersatzteillager füllen, ohne riesige Beträge ausgeben zu müssen. Am Ende muss die Investion – zumindest aus meiner Sicht – in einem angemessenen Verhältnis zum Gesamtergebnis stehen.

Was muss ich ausgeben?

Diese Frage wird immer immer wieder gestellt und die Antwort darauf ist unglaublich einfach: Keine Ahnung, es kommt darauf an! Es macht in jedem Fall Sinn, sich vorher klar zu überlegen, was man ausgeben kann und möchte und was man auf der anderen Seite für dieses Geld erwartet. Ein paar vereinfachte Regeln gibt es aber doch, damit man bei der Suche nicht völlig ahnungslos loslegt:

  • Das Kapital eines Rennrades sind der Rahmen und die Laufräder. Die Prioritäten sollten ganz klar hier liegen. Wenn es hier klemmt, macht das Projekt nur mit finanziellem Puffer Sinn.
  • Eine schöne Austattung im Bereich der Schaltung, des Sattels oder anderer Anbauteile ist toll, kann aber auch leicht nachgerüstet werden.
  • Reifen und andere Verschleißteile spielen keine Rolle in der Bewertung. Diese Teile müssen ohnehin geprüft und zumeist ausgetauscht werden. Sicherheit geht vor!

Zu den Zuständen der Räder kommen noch zwei wichtige Komponenten, die den Preis maßgeblich beeinflussen. Die Epoche, aus der das Rad stammt und natürlich auch das Fabrikat. Räder aus den 80ern sind erfahrungsgemäß bei vergleichbarem Zustand die Teuersten, darauf folgen die Räder aus den 2000ern und die günstigsten sind in den 90ern zu finden. Bei den Fabrikaten würde ich das Segment in folgende Hersteller einteilen:

  • Premium Rennräder: Bianchi, Cinelli, Colnago, Pinarello, Merckx
  • Hochwertige Rennräder: Koga Miyata, Motobecane
  • Preiswerte Rennräder: MBK, Hercules, Peugeot, Panasonic, Diamant

Wenn man das Ganze vereinfachen möchte, kann man folgende Matrix für den unrestaurierten, technisch funktionsfähigen Zustand nutzen:

1980er 1990er 2000er
Premium Rennräder $$$$$ $$$ $$$$
Hochwertige Rennräder $$$$ $$ $$$
Preiswerte Rennräder $$$ $ $$

Legende: $$$$$ (>=700€) | $$$$ (600€) | $$$ (500€) | $$ (400€) | $ (>=300€)

Woran erkenne ich eine gute Substanz?

Es ist nicht so leicht, festzustellen ob ein Rad eine gute Substanz hat. Daher möchte ich im folgenden auf ein paar wesentliche Dinge eingehen, die man schon vor dem Kauf prüfen kann.

Rahmenzustand: Der Rahmen sollte bruch- und rostfrei sein. Flugrost an offenen Enden (bspw. Hülsen von Bremszügen oder die Sattelstützenaufnahme) können vernachlässigt werden. Die Schweißnähte an Stahlrädern MÜSSEN rostfrei sein. Handelt es sich um einen Alurenner dürfen die Schweißnähte keine sichtbaren Lufteinschlüsse oder Korrosionen aufweisen. Neben dem Rahmen muss auch die Gabel diese Anforderungen erfüllen und darf keine Verformungen aufzeigen. Weiterhin sollte am Rahmen die Rahmennummer klar lesbar sein. Diese befindet sich zumeist unter dem Tretlager.

Laufräder und Naben: Die Laufräder müssen sich frei drehen lassen, wenn das Rad angehoben wird. Dazu sollte das Laufrad keinen Seitenschlag über 2MM pro Seite aufweisen (4MM in Summe). Größere „Eier“ lassen sich nur schwer korrigieren. Weiterhin sollte der Höhenschlag 1-2MM nicht überschreiten, da ein Höhenschlag im Zweifel schwerer zu beseitigen ist. Die Naben sollte ohne nennenswertes Spiel und vor allem ohne sandiges Laufgeräusch laufen. Grundsätzlich können klassische Naben eingestellt, neu gelagert und geschmiert werden, so dass ein Problem mit dem Lager noch kein Todesurteil ist.

Bremsen und Schaltung: Bremsen und Schaltung sollten grundsätzlich funktionsfähig sein. Das herauf und herabschalten muss funktionieren. Werden die äußeren Kettenräder bzw. Ritzel nicht erreicht, so ist dies meist durch erneutes Einstellen lösbar und stellt kein schwerwiegendes Problem dar. Die Ritzel und Kettenblätter sollten noch sauber definierte Zähne haben, da die Beschaffung von neuen Zahnrädern meist schwierig und zumindest kostspielig ist (Hintergrund: viele verschiedene Systeme und schlechte Verfügbarkeiten). Bei den Bremsen ist auf die grundsätzliche Funktion zu achten und die Bremsen sollten nach dem Bremsen wieder in die Ausgangsposition zurückfinden. Wenn die Bremsen quietschen oder schlecht verzögern ist dies kein Grund zur Sorge.

Sonderfall Carbon / Kohlefaser: Ich selbst rate generell vom Kauf älterer Räder mit Carbonteilen ohne Fachwissen ab. Eine angerissene Gabel oder Rahmen ist selbst von versierten Laien nicht zu erkennen und kann im Fall der Fälle zu dramatischen Unfällen führen. Wer so etwas tun möchte, sollte auch die Mühe nicht scheuen, eine solche Gabel oder einen solchen Rahmen vom Fachmann überprüfen zu lassen.

Reifen: Die Reifen sind bei älteren Rennern zumeist ausgetrocknet und bieten daher weder Komfort noch ausreichend Sicherheit. Hier sollte ohnehin immer davon ausgegangen werden, dass diese Teile ersetzt werden müssen. In den meisten Fällen erkennt man diese Einschränkungen bereits bei der Probefahrt. Die Preise für Reifen halten sich stark in Grenzen so dass diese Komponente meiner Meinung nach kaum eine Auswirkung auf die Kaufentscheidung haben sollte.

Anbauteile: Anbauteile wie Sattel, Lenker, Bremsen, Gepäckträger müssen vor allem optisch auf ihren Restwert geprüft werden. Achtung: Hier verstecken sich nachher die Posten, die sich kräftig aufsummieren. Im Umkehrschluss sind aber auch diese Komponenten massiv dafür geeignet, dem Rad die persönliche Note zu geben. Ich selbst nehme hier sehr gerne Abstriche in Kauf, um dann später nach meinem Geschmack umrüsten zu können.

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